Höhenmedizin

14.02.2023

Höhenbergsteigen hat sich in den letzten Jahren zu einem wahren Boom entwickelt und immer mehr Bergfans suchen diese Herausforderung. Doch ab welcher Höhe ist eigentlich eine Akklimatisierung notwendig? Brauchen wir diesen Prozess auch schon in den Alpen? Was geschieht während des Bergsteigens bzw. der Akklimatisierung in unserem Körper und welche Regeln sollten unbedingt beachtet werden?

Akklimatisierung - Wie, wann, warum und in welcher Höhe?

In der Höhe wird nicht der Sauerstoffanteil in der Luft geringer, vielmehr bleibt der relative Anteil an der Luftmenge mit 21% gleich. Mit zunehmender Höhe nehmen jedoch Luftdruck und damit auch Luftdichte ab, so dass bei gleichem Volumen an eingeatmeter Luft weniger Sauerstoffmoleküle (aufgrund des geringeren Drucks) verfügbar sind.

In der Höhenmedizin teilt man das Gebirge in verschiedene Höhenzonen ein. Wo liegt hierbei der Schwellenwert, ab dem einen Akklimatisierung notwendig ist? Die klare Antwort lautet: ab einer Höhe von 2.500 Metern über Null wird eine Akklimatisierung empfohlen.

Die folgenden Höhenzonen werden unterteilt:

Bis 3.000 Hm – mittlere Höhe: Schwellenhöhe bei 2.500 Hm; ab dieser Höhe ist eine Akklimatisierung nötig

3.000 bis 5.000 Hm – große Höhe: hier sollte eine vollständige Akklimatisierung erfolgen

5.000 bis 7.500 Hm – sehr große Höhe: in dieser Höhenlage ist nur noch eine unvollständige Anpassung möglich

Über 7.500 Hm – sogenannte Todeszone: durch akuten Kraftverlust sind hier nur kurze Aufenthalte möglich

 

HÖHENTAUGLICHKEIT

Wovon hängt es ab, ob jemand höhenkrank wird oder nicht? Allgemein reagiert jeder Mensch in der Höhe unterschiedlich, weswegen es einige individuelle Faktoren gibt, die die Höhentauglichkeit beeinflussen:

Aktueller Gesundheitszustand

 

(Genetische) Disposition

 

Ausmaß der Atemsteigerung (vermehrtes Luftholen) bei vermindertem Sauerstoff-Partialdruck (Hypoxie)

 

Ausmaß der Lungengefäßdruckerhöhung bei Hypoxie

 

Psychovegetative Verfassung (z. B. können Angst oder Stress die Anpassungsfähigkeit beeinflussen)

 

Oft wird vermutet, dass Ausdauerleistungsfähigkeit, Geschlecht oder Alter eine Rolle spielen. Dieser Aussage muss jedoch klar widersprochen werden – Probleme bei der Höhenanpassung können selbst mit einer sehr guten Ausdauer nicht kompensiert werden. Dennoch ist ein guter Trainingszustand wichtig, da in der Höhe die Leistungsfähigkeit um ca. 10% je 1.500 Hm abfällt.

Die folgenden Kriterien sollten für eine gute Akklimatisierung beachtet werden:

Hoch steigen – tief schlafen - „Climb high - sleep low“

 

Nicht zu schnell zu hoch steigen - „Don’t go too high too fast“

 

Anaerobe (stärkere) Anstrengungen sollten in der Anpassungsphase vermieden werden

 

Möglichst keine Aufstiegshilfen benutzen

 

Nicht weiter aufsteigen, solange die Symptome nicht besser werden - „Don’t go up until symptoms go down“

 

Sobald Frühzeichen einer Höhenkrankheit bemerkbar sind, nicht weiter aufsteigen

 

Immer auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr denken (Gefahr einer Thrombose bzw. Erfrierung wird dadurch gesenkt). Dabei auch insbesondere auf kohlenhydratreiche Ernährung achten, um die Energiespeicher entsprechende aufzufüllen

Wenn Ruhepuls und die Ausdauerleistung wieder ungefähr auf dem Niveau von zu Hause sind, kann man davon ausgehen, dass eine adäquate Akklimatisierung stattgefunden hat. Die Atmung sollte in Ruhe als auch bei Belastung vertieft und nachts periodisch sein. Ausreichend Flüssigkeit sollte zudem ausgeschieden werden (sog. Höhendiurese). Eine verringerte Ausscheidung kann ein Zeichen von Adaptionsstörungen sein.

Schaut man sich die dokumentierten Fälle an Höhenerkrankungen infolge eines gestörten Akklimatisierungsprozesses an, kann klar die Empfehlung gegeben werden, dass jeder (Höhen-) Bergsteiger zumindest grob Bescheid wissen sollten, welche Risiken wann bestehen. Allein das Aufreten einer milden akuten Höhenkrankheit liegt laut der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin bei 30 bis 50%. Und bereits in den Alpen, auf einer Höhe zwischen 2500 und 3000 Hm leiden ca. 9% der Bergsteiger unter der milden Höhenkrankheit, auf 3.650 Hm sind es nahezu ein Drittel.

ANPASSUNGSMECHANSIMEN

Die Anpassungen des Körpers, die in der Höhe stattfinden, sind relativ komplex. Zum Einen kommt es zur vermehrten Bildung roter Blutkörperchen durch eine vermehrte Produktion von Erythropoetin. Daneben treten zahlreiche weitere Mechanismen in Gang. Anfangs kommt es zu einer gesteigerten und vertieften Atmung mit dem Ziel, mehr Sauerstoff aufzunehmen. Das Herz vergrößert seine Pumpleistung; der Puls wird beschleunigt, das Herzzeitvolumen steigt. Erst mit Verzögerung vermehren sich die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff transportieren. Dieser positive Effekt hat allerdings den Nachteil, dass es dadurch auch zu einer „Eindickung“ des Blutes und damit zu einer Thromboseneigung kommen kann. Für Herz und Kreislauf bedeutet dies eine Mehrbelastung; auch die Gefahr von Erfrierungen steigt.

Die fünf goldenen Akklimatisierungsregel (nach: „HIMALAYAN RESCUE ASSOCIATION, NEPAL“)

1.) Jeder Mensch kann höhenkrank werden, aber niemand muss daran sterben

2.) Jede Gesundheitsstörung ist im Zweifelsfall höhenbedingt

3.) Nur symptomfrei höher steigen

4.) Bei Verschlechterung sofort absteigen

5.) Höhenkranke niemals allein lassen

HÖHENKRANKHEITEN

Folgende Krankheitsbilder werden im Rahmen der Höhenkrankheit unterschieden:

 

AMS (Acute Mountain Sickness) – sog. milde akute Höhenkrankheit

Beschwerden treten ca. sechs bis 48 Stunden nach dem Aufstieg auf, in sehr seltenen Fällen bereits nach ca. einer Stunde. Die Symptome verschwinden bei entsprechender Therapie innerhalb von 24 bis 48 Stunden wieder vollständig.

Symptome:

Kopfschmerz (Leitsymptom)

Müdigkeit, Schwäche, Apathie

Appetitlosigkeit, Übelkeit

Schlaflosigkeit

Wassereinlagerungen an Armen und Beinen (periphere Ödeme)

Deutliche Verringerung der Urinmenge (Flüssigkeitsretention)

 

 HAPE (High Altitude Pulmonal Edema) – Höhenlungenödem

Im Vorfeld des HAPE können ggf. auch die Symptome der milden akuten Höhenkrankheit (AMS) auftreten. Ein beginnendes Lungenödem kann sich am Anfang auch durch starke Müdigkeit, Atemnot und trockenen Husten zeigen. Das wichtigste Leitsymptom ist der plötzliche Leistungsabfall: für gleiche Strecken wird auf einmal die mehrfache Gehzeit benötigt und trotz Pausen kommt es zu keiner Erholung.

Symptome:

Plötzlicher Leistungsabfall (Leitsymptom)

Anfangs Atemnot bei Anstrengung, später auch in Ruhe

Pulsanstieg

Trockener Husten (später: mit blutigem, schaumigem Auswurf); Rasselgeräusche in der Lunge

Brennender Druck hinter dem Brustbein

Erbrechen

Fieber

Urinmenge der letzten 24 Stunden: unter 0,5 l

Blaufärbung der Haut

Unbehandelt kann das Höhenlungenödem in weniger als einem Tag zum Tod infolge Lungenembolie führen. Daher sollte ein Bergsteiger mit HAPE möglichst schnell in tiefere Lagen gebracht werden; meist gehen die Symptome dann schnell zurück – HAPE ist also vollständig reversibel, wenn richtig gehandelt wird. Ggf. kann nach einigen Erholungstagen dann auch wieder mit einem Aufstieg begonnen werden. 44% der unbehandelten HAPE-Patienten sterben dagegen an den Folgen der Erkrankung.

HACE (High Altitude Cerebral Edema) – Höhenhirnödem

Das Gute am Höhenhirnödem: es tritt nicht ohne Vorwarnung auf; 12 bis 24 Stunden vorher treten zunächst die Symptome der leichten Höhenkrankheit auf. Diese sollten also nicht negiert werden, auch wenn es nie schön ist, eine lang geplante Tour abzubrechen. Damit ist das Auftreten eines Hirnödems vermeidbar. Werden diese Frühsymptome aber verleugnet, kann sich im weiteren Verlauf ein HACE entwickeln.

Symptome:

Gang- und Stehunsicherheiten (Ataxie) – Leitsymptom

Schwerste medikamentenresistente Kopfschmerzen

Schwindel

Übelkeit, Erbrechen

Halluzinationen, Sehstörungen

Fieber

Koma

Vernunftwidriges Verhalten

Urinmenge der letzten 24 Stunden: unter 0,5 l

Es gibt weitere Krankheitsbilder, die aber in der Regel harmlos sind, dennoch aber als mögliche Warnhinweise für einen nicht ganz reibungslosen Akklimatisierungsprozeß angesehen werden sollten:

HALE (High Altitude Local Edema) – peripheres Höhenödem

HARH (High Altitude Retinal Haemorrhage) – Netzhautblutungen

 

Jeder Bergsteiger sollte zumindest grob Bescheid wissen über die Anpassungsmechanismen der Körpers in der Höhe und die möglichen Symptome der Höhenkrankheit. Auch wenn die Höhenkrankheit dadurch (sowie durch Training, vorbeugende Maßnahmen usw.) nicht gezeilt beeinflussbar bzw. vermeidbar ist, so kann im Fall einer Adapatationsstörung zumindest richtig und vernünfig gehandelt werden.

Wer sich weiter mit dem Thema Höhenmedizin und Akklimatisierung befassen will, dem seien die folgenden (auch für den Laien, zumindest überwiegend, verständliche) Bücher empfohlen:

Bergmedizin Expeditionsmedizin pocket: Von Tagesausflug bis Himalaya-Expedition! (pockets; 2016) von Berend Feddersen und Harald Ausserer. Taschenbuch; EUR 18,99 - Auch für den Laien verständlich erklärt und damit ein Muss für jede Bergtour.

Inhalt:

Akute Höhenkrankheit: Vorbeugung, Symptome, Behandlung - Symptome in der Höhe: Erkennen, Zuordnen, Therapieren

Erste Hilfe: Klare Handlungsanweisungen - Verbände: Schritt für Schritt anlegen

Praktisch: Die wichtigsten Knoten, Skitour planen, Lawinenrettung, Hubschraubereinweisung - Internationale

Handliches und outdoortaugliches Taschenformat. Laut Reinhold Messner: „Gehört in jeden Rucksack

 

Alpin- und Höhenmedizin (12. Juni 2015) von Franz Berghold und Hermann Brugger. Gebundene Ausgabe; EUR 68,08 Alpinexperten aus dem deutschen Sprachraum (Schweiz, Deutschland, Österreich, Südtirol) geben in diesem Buch einen umfassenden Überblick über die Sport- und Unfallmedizin im Gebirge sowie zur Höhenmedizin. U. a. beleuchten sie Themen wie Training, Ernährung, Steigtaktik, Kinder, Schwangere und chronisch Kranke am Berg. Die moderne Rettung aus Bergnot wird ebenso behandelt, wie der Aufstieg in die großen und extremen Hochgebirge bis hin zum Gipfel des Mount Everest. Das Fachbuch wendet sich an Sportmediziner, Notfallmediziner, Ersthelfer und andere Ärzte und an generell Interessierte, die eines gemeinsam haben: die Liebe zur Welt der Berge.

 

Kopfwehberge: Eine Geschichte der Höhenmedizin Gebundene Ausgabe  (1. Februar 2011) von Oswald Oelz und Elisabeth Simons (Vorwort von Reinhold Messner). Gebundene Ausgabe; EUR 26,80.  Die akute Bergkrankheit stellt heute eine der grössten Gefahren und die häufigste Todesursache bei Bergtouren in grosser Höhe, etwa im Himalaya da. Im Extremfall können die durch den Sauerstoffmangel herbeigeführten Veränderungen im menschlichen Körper innerhalb weniger Stunden zum Tod führen. Dieses medizin-historische Sachbuch erzählt in einer auch für den Laien verständlichen Sprache und mit vielen Illustrationen die Geschichte der Entdeckung und Erforschung des Phänomens von den Anfängen in der Antike bis in die Gegenwart.

                     

                  


      

    

In diesem Sinne – viel Freude bei Eurer nächsten Bergtour!

 

Eure Sabine