Die heutige Anwendungsform mit Ganzkörperkälteexposition (Kältekammer) und Eintauchen in kaltes Wasser (Kaltwasserimmersionen) wurde in den 1980ern in Japan zunächst zur Behandlung von Rheuma eingeführt, um krankheitsbedingte Schmerzen des Bewegungsapparats zu lindern. Neben medizinischen Anwendungsfeldern wie bei Gelenkerkrankungen, chronischen Schmerzen oder Verletzungen wird die Ganzkörperkältetherapie heute zunehmend als Wellnessanwendung oder im sportlichen Bereich zur Leistungssteigerung und Regeneration angewandt und unter verschiedenen Bezeichnungen (z.B. Wim-Hof-Methode) stark promotet.
Doch was steckt hinter dem Hype? Sind Kälteanwendungen sinnvoll und fördern Regeneration und Leistungsfähigkeit oder ist die Kältetherapie mehr Schein als Sein bzw. kann sie evtl. sogar schaden?
WELCHE WIRKUNG HAT KÄLTE AUF DEN KÖRPER?
Unterschieden wird prinzipiell zwischen lokalen Anwendungen und Ganzkörperkryotherapie. Bei einer lokalen Kälteanwendung ziehen sich die oberflächlich liegenden Gefäße und bei längerer Anwendungsdauer auch die in darunter liegenden Schichten zusammen, sodass die Durchblutung vermindert wird; Ödeme und Entzündungsreaktionen werden reduziert. Starke Kälte stellt zunächst einen Stressfaktor für den menschlichen Organismus dar, der physiologische Reaktionen hervorruft und langfristig gesehen zu Anpassungserscheinungen führt. Mit zunehmender Abkühlung werden Gewebe weniger schmerzempfindlich, was u.a. zu einer Reduktion der anfänglich zunehmenden Muskelspannung führt.
Die Ganzkörper-Kryotherapie erfolgt in speziellen Kältekammern, die im Temperaturbereich zwischen -60°C und -150°C arbeiten (meistens -110°C bei zwei bis drei Minuten). Im Gegensatz zu lokal angewendeten Kältebehandlungen beeinflusst die Ganzkörperkryotherapie den gesamten Organismus und ruft durch Nervenreflexe eine ganze Reihe von Reaktionen hervor. Zunächst kommt es zu kurzzeitigen, bis zu mehreren Stunden anhaltenden Reaktionen. Durch die extreme Kälte sinkt die Temperatur der Hautoberfläche auf Werte um ca. 5°C ab. Durch diesen „hellen Schmerz“ wird der „dumpfe Schmerz“ von Verletzungen, chronischen Entzündungen oder Verspannungen überlagert, da die Kälteeinwirkung die Schmerzleitung blockiert. Diese Schmerzbefreiung kann bis zu einigen Stunden nach der Behandlung anhalten und bei wiederholter Anwendung zu langfristiger Schmerzlinderung bzw. -befreiung führen. Daneben kommt es zu Reaktionen des Immunsystems mit entzündungshemmender Wirkung, weswegen die Kryotherapie bei chronischen Entzündungen, Rheuma, Neurodermitis und Schuppenflechte angewandt wird.
WAS KANN KRYOTHERAPIE IM SPORT LEISTEN – LEISTUNGSSTEIGERUNG & SCHNELLERE REGENERATION?
Eine der grundlegenden Überlegungen, warum Kryotherapie auch im Sport sinnvoll sein kann, beruht auf der Thermoregulation, also der körpereigenen Regulation von Wärmeproduktion und -abgabe. Bei einem Wärmeüberschuss infolge von Sport wird unsere Peripherie, also Arme und Beine und vor allem die Haut, stärker durchblutet, um die Körperkerntemperatur stabil zu halten. Insbesondere im Ausdauersport muss die durch längerfristige körperliche Arbeit erzeugte Wärme mit erheblichem regulatorischem Aufwand heruntergekühlt werden. Bei intensiven Ausdauereinheiten braucht unser Körper dazu ca. 75% der Energie für die Kühlung, sodass also nur noch 25% für die eigentliche muskuläre Arbeit zur Fortbewegung zur Verfügung stehen.
Welchen Beitrag können nun Kältebehandlungen zur sportlichen Leistungsfähigkeit beitragen? In verschiedenen Studien wurden Kryotherapien in Form von Kühlwesten, die während der Erwärmung und/oder in kurzen Belastungspausen getragen wurden, oder als Pre-Cooling in Kältekammern getestet. Zu den Ergebnissen mancher Studien zählen u.a. niedrigere Laktatwerte während der Ausdauerbelastung infolge gesteigerter Mikrozirkulation sowie niedrigere Herzfrequenzen, wodurch es teilweise zu besseren Leistungen im Vergleich zu Testgruppen ohne kryotherapeutische Maßnahmen kam. Zudem scheinen sich kleine Mikrotraumata nach hohen körperlichen Belastungen durch Kälte und reaktiv verbesserte Durchblutung gelindert werden. Dadurch erholt sich ein beanspruchter Muskel insgesamt rascher. Außerdem reagiert der Körper auch mit einer Mobilisation von Abwehrkräften und Ausschüttung von Endorphinen (den sog. Glückshormonen). Viele Sportler berichten zudem von positiven Effekten einer Kryotherapie als regenerative Maßnahme. In einer Metaanalyse mit Kälteanwendungen als Regenerationsmaßnahme zeigten sich neben dem subjektiv verbesserten Wohlbefinden auch eine geringere Muskelermüdung sowie weniger Muskelschmerzen nach Kältetherapien (1). Während das subjektive Empfinden von Sportlern positiv sein kann und auch die mentale Stimulation der Leistungsbereitschaft durch Kältetherapie gefördert werden kann, ist die leistungssteigernde Wirkung der Tiefkälte wissenschaftlich jedoch nicht eindeutig belegt. Mehrere Studien haben mittlerweile außerdem auch über negative Effekte bezüglich Regeneration und Leistungsfähigkeit hingewiesen bzw. darauf, dass der Effekt nicht größer als ein Placeboeffekt ist.
Die Ergebnisse zu den Auswirkungen von regelmäßigem Eintauchen in kaltes Wasser nach Ausdauer- oder hochintensivem Intervalltraining auf aerobe Kapazität, Laktatschwelle und Leistung sind mehrdeutig:
Mögliche positive Aspekte:
Mögliche negative Aspekte
Keiner oder kein eindeutiger positiver oder negativer Einfluss:
· In einer Studie aus dem Jahr 2014 verbesserten KWI (Kaltwasserimmersionen) mit 10–15 min Eintauchen bei 10–15 °C während intensiver Trainings- und Wettkampfphasen die akute und nachfolgende Erholung in Bezug auf die Trainingsleistung und das Wohlbefinden (2).
· In mehreren Studien wurde auch gezeigt, dass Kryotherapie einen positiven Einfluss auf Schlafarchitektur und damit auch indirekt auf die Erholung haben kann (3).
· In einer weiteren Studie zeigte sich, dass KWI hilft, die Sprintleistung an aufeinanderfolgenden Trainingstagen aufrechtzuerhalten, während die Auswirkungen auf die Herzratenvariabilität variabel und von der vorherigen Trainingsintensität abhängig war (4).
· In einer Studie an Weltklasse-Bahnradfahrern zeigte sich, dass KWI zu einer verminderten Leistung bei wiederholtem Maximaltraining während einer 4000-m-Einzelverfolgung führte; auch KWI während der Erholungsphase verbesserte die nachfolgende Leistung nicht (5).
· Ganzkörperkryotherapie im Vergleich zu KWI hatte einen negativen Einfluss auf die Muskelfunktion, die Wahrnehmung von Muskelkater und eine Reihe von Blutparametern. Zudem war die Kryotherapie bei der Verbesserung der funktionellen Erholung oder der Wahrnehmung von Trainingsstress nach einem Marathon nicht wirksamer als eine Placebo-Intervention (6).
· In einer Studie an Radsportlern war das Eintauchen in kaltes Wasser teilweise sinnvoll in der akuten Erholung vom Training, es kam jedoch teilweise auch zu einer langfristigen Beeinträchtigung der Leistung im Vergleich zu einer rein passiven Erholung. Die Autoren vermuten, dass KWI die Reize abschwächt, die für die Anpassung an das Training verantwortlich sind. (7).
· Einmalige KWI nach Ultra-Ausdauer beeinflussten zwar die absolute Anzahl von Immunzellen akut positiv vs. einer Kontrollgruppe, es zeigte sich aber kein Einfluss auf die Erholung nach 24 und 48 Stunden (8,9).
· Ausgewählte Studien zeigten keinen Effekt von KWI auf die Leistungen eines Ausdauertrainings (Zeitfahren): weder die maximale aerobe Leistung noch die Zeitfahrleistung zeigten eine Verbesserung; eine Verschlechterung wurde allerdings auch nicht gezeigt (10).
Auch bezüglich Krafttraining - Muskelzuwachs und Leistungsfähigkeit - existieren zunehmend Hinweise, dass Kryotherapie den Zuwachs an Muskelmasse und Kraft abschwächen kann. Zuverlässige Beweise für eine Zunahme der Blutgefäßversorgung und der Energieversorgung im Muskel als Reaktion auf Kryotherapie existieren derzeit nicht:
Eintauchen in kaltes Wasser während der Erholung von einem Widerstandstraining verringerte die Kapazität des Muskels, Proteine aus der Nahrung aufzunehmen; zudem wurde die Proteinsyntheserate während eines verlängerten Krafttrainings verringert (11).
Ein negativer Effekt von Kaltwasserimmersionen wurde im Zusammenhang mit Widerstandstraining für das Maximum an Wiederholungen, die maximale isometrische Kraft und die Kraftausdauerleistung nachgewiesen. Die regelmäßige Anwendung von KWI in Verbindung mit Trainingsprogrammen wirkte sich nachteilig auf die Anpassungen von Krafttraining aus (12). Allerdings scheinen spezielle Programme die Muskelglykogenresynthese (also das Auffüllen des Muskels mit Glykogenreserven) einige Stunden nach dem Training nicht zu beeinträchtigen (13).
An aussagekräftigen Studien zu Krafttraining und Kryotherapie mangelt es derzeit allerdings. Es kann ggf. Umstände geben, unter denen Kaltwasseranwendungen nach einem Krafttraining von Vorteil sein könnte, z.B. Hochfrequenztrainings oder bei kälteakklimatisierten Personen (14).
KANN UNS KÄLTETHERAPIE INGESAMT FITTER UND WIDERSTANDSFÄHERIGER MACHEN?
Auch wenn die Datenlage insbesondere zu einer Leistungssteigerung sowohl im Ausdauer- als auch Kraftsport derzeit dürftig ist, so kann Kaltwassertherapie durchaus einen positiven Einfluss auf unsere generelle Fitness und unsere Immunsystem haben. In einer Studie wurde gezeigt, dass infolge regelmäßiger kalter Duschen oder heiß-kalter Duschen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine 29%ige Reduktion der krankheitsbedingten Fehlzeiten erzielt wurde. Die Dauer der Kaltwasserduschen war für diese Reduktion nicht entscheidend – jegliche Dauer zwischen 30 und 90 Sekunden war zielführend. Die stärkste physiologische Reaktion auf kaltes Wasser wurde während der ersten 30 Sekunden beobachtet, und die Schnelligkeit deutet darauf hin, dass sie eher durch neurogene Wege (also Nervenreaktionen) als durch zirkulierende Hormone initiiert wird (15).
JA WAS DENN JETZT…?
Kryotherapie für die Erholung nach dem Training hat sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt, aber es fehlt an überzeugenden wissenschaftlichen Beweisen für eine tatsächliche Leistungssteigerung. Bisherige Studien haben teilweise positive Ergebnisse mit verbesserter Regeneration nach Sport gezeigt. Es gibt jedoch mittlerweile auch Studien, die darauf hinweisen, dass die Kryotherapie entweder keinen oder einen negativen Einfluss auf die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit hat. Die Auswirkungen der Kühlung auf die Trainingsleistung und -anpassung sind zudem individuell unterschiedlich und von vielen Faktoren beeinflusst, u.a. Dauer, Ausmaß und Zeitpunkt des Kälteeinflusses, individuellen Reaktionen und Art der Aktivität.
Basierend auf aktuellen Studien sollte die Kryotherapie nach Kraftsport eher vermieden werden. Der Einsatz von Kältetherapie sollte unmittelbar nach dem Krafttraining vermieden werden und Kühlung zur Konditionierung der Skelettmuskulatur als Teil der Erholungsstrategie sollte überdacht werden, da das Eintauchen in kaltes Wasser die Proteinsynthese beeinträchtigen kann.
Nach Ausdauersport ist die Datenlage zwiespältig: Kryotherapie zur Regeneration scheint sinnvoll zu sein; eine signifikante Leistungssteigerung über die verbesserte, auch subjektive empfundene Regeneration sollte jedoch – zumindest anhand der derzeit in Studien getesteten Protokolle - nicht erwartet werden. Die Ergebnisse einiger Studien liefern zudem Hinweise darauf, dass der Behandlungsglaube und der Placebo-Effekt weitgehend für die positiven Auswirkungen der Kryotherapie auf die Regeneration verantwortlich sein können.
Unbestritten ist jedoch, dass Kryotherapie subjektiv das Befinden bessern kann, was wiederum unabhängig von objektiven und messbaren Studienparametern auch zu gesteigerter Regeneration, Schmerzreduktion und Motivation und damit auch zu besserer Leistungsfähigkeit führen kann. Auf Kryotherapie reagiert der Körper zudem mit einer Mobilisation von Abwehrkräften und der Ausschüttungen von Endorphinen. Die meisten Sportler berichten zudem auch von subjektiv positiven Effekten einer Kryotherapie als regenerative Maßnahme, was gerade im Leistungssport von großer Bedeutung ist.
Fakt ist: Viele genießen Kälte nach körperlicher Anstrengung, sei es im Rahmen von Saunagängen mit Kaltwasserbecken, Eisbaden oder einfach nackt im Schnee liegen.
In diesem Sinne, viel Spaß in der Kälte!
Eure Sabine
Referenzen
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Buijze G et al. The Effect of Cold Showering on Health and Work: A Randomized Controlled Trial. PLoS One. 2016; Kox M et al. Voluntary activation of the sympathetic nervous system and attenuation of the innate immune response in humans. Proc Natl Acad Sci USA. 2014